1. Sonntag der Fastenzeit – Invokavit

 Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre. (1. Johannes 3,8b)

Die Sonntage in der Fastenzeit haben ihre lateinischen Namen nach einem prägnanten Vers des Psalms erhalten, der an diesem Tag nach kirchlicher Tradition gebetet wurde. Am Sonntag Invokavit heißt es in Psalm 91,15: Ruft er mich an, so will ich ihn erhören; Ich bin bei ihm in der Not … und [will] ihn schauen lassen mein Heil.

Demgegenüber ist das Thema dieses Sonntages allerdings die Versuchung, in die Menschen geraten, die aus eigenem Willen und Kräften den Weg zu einem besseren Leben suchen. Oft vollziehen sich die dazu notwendigen Entscheidungen eigennützig und zum Schaden anderer. Aber auch dort, wo Menschen aus vermeintlich guten Absichten die Welt zu verändern suchen, kann dies für andere großes Leid bedeuten. Die Geschichte menschlicher Revolutionen, in denen die Welt durch Gewalt gebessert werden sollte, gibt dazu beredt Auskunft. Die Pointe in der Geschichte vom Sündenfall (1. Mose 3,1-24) liegt gerade in der Feststellung, dass das Streben der Menschen nach einem besseren Leben, in dem bestehende Grenzen, die dem Leben gesetzt sind, überwunden werden sollen, zu einem gegenteiligen Effekt führt. Da den ersten Menschen das Leben im Paradies mit der von Gott gesetzten Einschränkung, dass der Mensch nur Gärtner und Pfleger, aber nicht Eigentümer und Herr über das Leben ist, nicht genügte und sie stattdessen werden wollten wie Gott, haben sie für sich bewirkt, am Ende Sklaven des Ackerbodens zu werden, auf dem sich der Ertrag zum Leben nur unter Mühe und Schweiß erarbeiten lässt. Bis heute scheint es so zu sein, dass jede neue technische Errungenschaft ein Stück mehr Entfremdung von der ursprünglichen menschlichen Lebensweise mit sich bringt. Dennoch sind und bleiben wir versucht, weiterhin auf dem Wege technischen Fortschritts unser Leben besser machen zu wollen. Auf diesem Wege aber verliert die Welt Stück um Stück ihre ursprüngliche Natur und am Ende büßt auch der Mensch an Lebensqualität ein. Hätte er nur … !

Das Evangelium dieses Sonntages erzählt nun die Geschichte, wie Jesus selbst mit der Versuchung, ein besseres Leben unabhängig von Gott zu führen, umgegangen ist (Matthäus 4,1-11). Er wird zur Vorbereitung seines künftigen Wirkens für 40 Tage in die Wüste geführt, wo ihm der Teufel, der Widersacher Gottes, begegnet. In dieser Begegnung hat Jesus drei grundlegende Versuchungen zu bestehen: 1) Die Brotversuchung – die Versuchung nach ausreichender materieller Absicherung des Lebens; 2) Die Leidensversuchung – die Versuchung nach umfassender existentieller Absicherung des Lebens gegen mögliche Gefährdungen, so dass der Mensch sein Leben ganz eigenmächtig und ohne religiöse Rückbindung gestalten kann; 3) Die Machtversuchung – die Versuchung größtmöglicher Verfügungsgewalt über das Leben. Die Herausforderung in den westlichen Wohlstandsgesellschaften scheint m.E. aktuell in der 2. Form der Versuchung zu liegen, in der Gott bestenfalls als Erfüllungsgehilfe eines umfassend selbstbestimmten Lebensstils gesehen wird. Jesus weist alle drei Versuchungen von sich: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein; Du sollst den Herrn nicht versuchen; Du sollst Gott allein anbeten und ihm dienen! Damit stellt Jesus fest, dass ein Leben in der Abhängigkeit zu Gott besser ist als jeder Versuch, das Leben in völliger Selbstermächtigung führen zu können. Dies gilt schon für die einfachsten Dinge des Lebens wie dem Brot. Dankend soll es empfangen werden, denn dass wir Tag um Tag satt werden, ist nicht selbstverständlich (Matthäus 6,11).

Das Thema der Versuchung zieht sich auf vielfältige Weise durch die Predigttexte dieses Sonntages. So verschieden die Versuchung dabei auch sein kann – am Ende geht es immer um die Frage, ob Menschen akzeptieren können, nicht die letzte Verfügungsmacht über das Leben zu haben und bereit sind, die eigenen Lebensgrenzen anzuerkennen und anzunehmen, oder ob wir den Weg, das Leben völlig eigenmächtig und ohne Gott einzurichten, weiter beschreiten wollen.

© Oliver Behre, Zörbig  2021