Aschermittwoch – Beginn der Fastenzeit

 Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.  (Lukas 18,31)

Mit dem Aschermittwoch beginnt die Fasten- oder Passionszeit. In dieser Zeit geht es um die Vergegenwärtigung des Leidensweges Jesu bis zu seinem Tod am Kreuz. Damit nimmt Jesus das Leiden dieser Welt in seiner Person auf, leidet gewissermaßen stellvertretend für und mit uns.

Die Frage nach dem Leiden und seinem Sinn steht im Mittelpunkt allen religiösen Denkens, denn in der Religion geht es um den Umgang mit dem, was unverfügbar ist. So lässt sich zugespitzt formulieren, dass die Frage nach dem Leiden Ursprung und Anlass für die religiöse Suche nach deren Antwort ist. Wäre der Mensch in der Lage, über sein Leben in allen Dingen selbst zu bestimmen, dann bräuchte er keine religiöse Sinndeutung und keinen Gott. Aber diesen Menschen gibt es nicht. Vielmehr ist menschliches Leben mehr oder weniger bestimmt von Leiden in vielfältiger Gestalt. Als Kind ist er oft genug der Willkür der Erwachsenen ausgeliefert und muss doch glauben und vertrauen können, dass das „Schicksal“ es gut mit ihm meinen wird. Im Laufe des weiteren Lebens wird er oft genug die Erfahrung machen, dass er nicht selbst Herr seines Lebens ist, sondern angewiesen auf die Gunst anderer und glückliche Umstände. Und am Ende des Lebens muss er eine eigene Antwort auf die Herausforderung seiner Sterblichkeit finden. Wozu also lebt ein Mensch und wie lässt sich der eigene Lebensweg sinnvoll verstehen? Das Leben ist alles andere als ein Weg selbstbestimmter Entscheidungen, es ist eher ein Weg schicksalhafter Fügungen, die zunächst einmal in ihrer Sinnhaftigkeit ein Geheimnis darstellen. Religion ist die Kunst, diesen Weg zu etwas zu machen, das durch Annahme und bewusstes Gestalten ein Teil von mir wird, das Anteil an einem umfassenden Ganzen des Lebens nimmt und den Einzelnen bzw. die Einzelne mit seinem oder ihrem Weg in ein großes Ganzes integriert.

Die Frage nach dem Sinn des Leidens und die Suche nach einem Weg in eine bessere Zukunft, in der Leid abwesend sein wird, haben in den unterschiedlichen religiösen Traditionen verschiedene Antworten erfahren. In jedem Fall aber liegt dem Leiden eine „Störung“ zugrunde, die behoben werden muss. Bereits im naturreligiösen Denken und im Schamanismus begibt sich der Mensch auf die Suche nach dem, was da im eigenen Leben oder im Zusammenleben der Gemeinschaft durcheinandergeraten ist. Erst wenn auf spirituellem oder kultischem Wege die verloren gegangene Harmonie wieder hergestellt wird, wird auch der Zustand des Leidens ein Ende finden. Dieses Denken hat vermutlich sehr früh bereits eine Art Opferkult und vielfältige rituelle Handlungen begründet, bei denen es immer darum geht, einen möglichst leidensfreien Urzustand herzustellen.  Spätere Hochreligionen haben dann tiefergehend über Ursachen und Bewältigung von Leidenserfahrungen nachgedacht. Dabei versteht etwa der Buddhismus das Leiden als einen Hinweis, sich mit sich selbst und dem eigenen Eingebundensein bzw. der Abhängigkeit von Zuständen in dieser Welt auseinanderzusetzen und einen Weg zu finden, sich auf dem Wege von Meditation von der Abhängigkeit an die Dinge und Ereignisse dieser Welt zu befreien.

Auch das jüdisch-christliche Denken geht von einer grundlegenden „Störung“ aus, die das Leid und den Tod in der Welt verursacht hat. Allerdings besteht diese „Störung“ nicht unbedingt in Form einer individuellen persönlichen Schuld, sondern die Ursache von Leid ist grundlegend, überindividuell und global im menschlichen Leben von Beginn an als eine Art „Ursünde“ gesetzt. Während die fernöstlichen Religionen betonen, dass sich die „Leidstörung“ der Welt durch individuelle meditative Abkehr von der Welt überwinden lässt, wird in der alttestamentlichen Sündenfallgeschichte auf die verhängnisvolle Dynamik aufmerksam gemacht, dass der Mensch sein Leid gerade dadurch erzeugt und vergrößert, dass er die Abhängigkeit seiner von Gott gesetzten Grenzen eigenmächtig zu überwinden sucht (1.Mose 3,1-24). Erlösung aus dem Leid setzt demnach die Rückbindung an Gott (Glaube) und die Akzeptanz der von Gott vorgesehenen Einschränkungen bei der Lebensgestaltung (Einhaltung der Gebote) voraus. Erlösung ist weniger eine individuelle als vielmehr eine kollektive Herausforderung (für das Volk Gottes, das sich vor Gott versammelt, um vom Leiden befreit zu werden), in der der Einzelne sich jedoch auf eine individuelle Weise einbringen kann.

Am Beginn der Auseinandersetzung mit dem Leiden, seinen Ursachen und der Überwindung von Leid, thematisiert der Aschermittwoch nun vor allem die Bedeutung des Fastens dazu. Auch das Fasten ist eine uralte religiöse Praxis, bei der es um Konzentration, d.h. um Sammlung der Aufmerksamkeit und aller Lebenskräfte geht, um eine bestimmte Herausforderung zu bewältigen. So fastet etwa Jesu am Beginn seiner Wirksamkeit 40 Tage in der Wüste (Matthäus 4,1-11). Im kultischen Verständnis hat das Fasten einen reinigenden bzw. heilenden Effekt. Es sorgt dafür, dass alle störenden Zustände ausgeschieden werden und sich der Mensch auf das allein Wesentliche konzentrieren kann. Dabei wird im Judentum das allein Wesentliche mit den Worten beschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit all deiner Kraft. (Matthäus 22,36; vgl. 5. Mose 6,5). Die Fastenpraxis dient hier insbesondere zur Vorbereitung hoher religiöser Feste. Dabei wird allerdings auch von den alttestamentlichen Propheten und auch von Jesus betont, dass das Verhältnis zum Nächsten im Fasten mit bedacht und eingeschlossen sein muss. So kritisiert der Prophet Jesaja an der Fastenpraxis seinerzeit, dass sie nur auf individuelle Bedürfnisse ausgerichtet ist und nicht auch auf die Lebensbedürfnisse anderer nach Recht und sozialer Gerechtigkeit  ausgerichtet ist, also die Folgen der eigenen Lebensführung für andere mitbedenkt und hier eine (zeitweilige) Verhaltensänderung in Gang setzt. (Jesaja 58,5-6). Auf diese Weise sollte das Fasten eingebettet sein in eine gesellschaftliche Bewegung, in der sozialer Ausgleich, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit geübt werden. Auch Jesus kritisiert die allein auf die individuelle Erlösung ausgerichtete Fastenpraxis der Pharisäer (Lukas 18,9-14). Erlösung ist nicht auf einem individuellen spirituellen Wege zu erlangen, sondern nur in der Verantwortung für das Leben anderer zu gewinnen. Für die Fastenpraxis bedeutet dies, dass sie eingebettet sein muss in eine soziale Gemeinschaft und der einzelne Fastende darauf achten sollte, wie er durch seine Lebensgestaltung anderen Menschen Gutes tun kann.

Damit bietet sich der Aschermittwoch als Anfangstermin für eine Fastengruppe bzw. für regelmäßige Angebote zur Besinnung (Passionsandachten) an, um die Zeit bis zum Osterfest bewusst zu gestalten und zu erleben. Dabei kann begrenzt auf diesen Zeitraum der Verzicht bzw. die Einschränkung sozialschädlichen Verhaltens in Form von bestimmten Konsumgewohnheiten geübt werden (wie „Autofasten“, „Einschränkung des Fleischkonsums“). Auch das Umgekehrte ist möglich: Die Fastenzeit als begrenzten Zeitraum für soziales Engagement zu nutzen („Kochen und Essen für und mit Bedürftigen“, diakonische Projekte).

In der alten Kirche wurde die Passionszeit zur Unterweisung der Taufanwärter in den christlichen Glauben genutzt und diese dann in der Osternacht getauft. Es bietet sich also an, an 7 Abenden einen Tauf- bzw. Glaubenskurs anzubieten.

© Oliver Behre, Zörbig  2021