2. Sonntag der Fastenzeit – Reminiszere

 Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. (Römer 5,8)

Der lateinische Name des 2. Sonntages der Fastenzeit – Reminiszere – bezieht sich auf die Aufforderung in Psalm 25,6: „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte.“ Damit ist das Thema benannt, um das die Predigttexte dieses Sonntags kreisen. Es ist das Ringen um die Güte und Barmherzigkeit Gottes, die durch die Leidenswirklichkeit von Menschen in Frage gestellt ist. Dabei zeigt sich: Es gibt keine einfache Antwort auf das Leiden in der Welt, auch und gerade weil sich paradoxerweise im Leiden und Sterben von Jesus Christus die Liebe Gottes zeigt. Gottes Güte und Barmherzigkeit will gerade dort erfahren werden, wo sich Menschen in tiefem Leid und großer Not befinden. Um mittendrin im Leiden und der Not dieser Welt zu sein, wählt Gott den Weg der Menschwerdung und erleidet in seinem Sohn Jesus Christus solidarisch und stellvertretend für uns an der eigenen – menschgewordenen – Person die Not vieler Menschen. Gott trägt in Person seines Sohnes Jesus Christus damit alles, was menschliches Leben beschwert und zerstört, ans Kreuz.

Es ist dieser Gedanke, dass sich die Güte, Liebe und Barmherzigkeit im Mitleiden Gottes mit seiner Kreatur erweist, der im Wesentlichen den Kern christlicher Glaubensüberzeugung und Spiritualität kennzeichnet. Daraus folgt freilich eine Aufwertung und potentielle Sinngebung von Leid und Not. Leid und Not sind nicht mehr nur destruktive Folge von Schuld und Verfehlung, wie es noch die Jünger Jesu vermutet haben (Johannes 9,1-3), sondern sie werden in Dienst genommen, die Güte und Zuwendung Gottes erlebbar werden zu lassen. Das entspricht insofern auch der religiösen Logik, weil es ohne Leidenserfahrung keine Notwendigkeit zum Glauben an Gott gäbe. Erst die aus der Unverfügbarkeit des Lebens erwachsene Not führt Menschen zur Suche nach (religiösen) Antworten auf die Wirklichkeit von Leid und Tod. Demnach gibt es, abgesehen vom Karfreitag, kaum einen (Sonn-)Tag im Kirchenjahr, der in seiner Grundaussage theologisch so anspruchsvoll und tiefgehend ist wie der Sonntag Reminiszere. Dabei darf die Frage nach dem Sinn des Leidens und Sterbens von Menschen nicht nur auf der rationalen dogmatischen Ebene gestellt werden, sondern muss existentiell ausgehalten werden. Das Leiden und Sterben von Jesus Christus spiegelt sich bis heute im Leiden und Sterben vieler Menschen in dieser Welt wieder und möglicherweise auch im eigenen Leben. Doch seitdem Jesus diesen Weg vorausgegangen ist, dürfen wir auf unseren Leidenswegen Nachfolgerinnen und Nachfolger werden und sein. Vermag ich solche Wege anzunehmen und mitzugehen, wenn Gott mich so führt? Und wie verhalten sich diese – mit der eigenen Existenz durchlittenen – Erfahrungen zur geglaubten Güte und Barmherzigkeit Gottes?

Darin jedenfalls liegt die Herausforderung des christlichen Glaubens und dessen Trost! Auch und gerade im Leiden und Sterben am Glauben an den guten und barmherzigen Gott festzuhalten und festhalten zu können. Allein aus eigenen religiösen Überzeugungen und Kräften wird das, wie das Beispiel des Hiob zeigt, nicht gelingen. Alle theologischen Antworten, die Menschen sich machen, werden scheitern! Am Ende ist es eine geschenkte Glaubenserfahrung und -erkenntnis Gottes, die die tiefe Gewissheit mit sich bringt: Gottes Wege führen alle zu einem guten Ziel! Es ist der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, in dem die Antwort auf Leid und Tod liegt (Philipper 4,7). In Gottes Frieden darf ich gewiss sein und mich getröstet wissen! 

© Oliver Behre, Zörbig  2021