Fasten- und Passionszeit (Aschermittwoch – Karsamstag)

Mit dem Aschermittwoch beginnt eine bis zum Vortag des Osterfestes währende Fastenzeit. Sie wird auch als Passionszeit bezeichnet, insofern weniger das Fasten als mehr das Gedenken an das Leiden und Sterben Jesu im Vordergrund stehen. Der Ursprung dieser Zeit liegt vermutlich in Jerusalem, wo bereits im 2. Jahrhundert vor Chr. eine zweitägiges Fastenpraxis für Karfreitag und Karsamstag auf das Osterfest hin bezeugt ist. Außerdem wurden dort die Taufanwärter in einer Prozession entlang der Kreuzwegstationen Jesu mit der Abfolge der Ereignisse auf seinem Leidensweg und seiner Kreuzigung und Grablegung bekannt gemacht. Die vorösterliche Fastenzeit wurde schließlich zeitlich auf die Woche vor Ostern (Karwoche) ausgedehnt und schließlich im 5 Jhd. n.Chr. als 40-tägiges Fasten definiert. 1091 hat die Synode von Benevent dann entschieden, die Sonntage als Fastentage auszunehmen und die Zeit damit nochmals um 6 Werktage nach vorne zu verlängern, so dass sie nunmehr mit dem Aschermittwoch beginnt. 

Fasten ist eine uralte religiöse Praxis, in der es vor allem um die Konzentration auf das Wesentliche und die Vorbereitung auf besondere Ereignisse geht. Auch Jesus selbst hat am Beginn seiner Wirksamkeit 40 Tage in der Wüste gefastet (Matthäus 3,1-2). Mit der Ausbildung der Kirche kam es über die Jahrhunderte zu einer immer mehr ausgeführten Fastenpraxis, so dass im christlichen Mittelalter dann vor Ostern völlig auf den Genuss von Fleisch, Eiern und allen milchhaltigen Produkten verzichtet werden sollte. Mit der Reformation wurde dann der Schwerpunkt vom Fasten weg hin zum Gedenken des Leidensweges Jesu und seines Sterbens am Kreuz gelegt. In den letzten Jahrzehnten wurde allerdings auch im evangelischen Bereich, angeregt durch die ökumenische Öffnung der christlichen Konfessionen füreinander, die Fastenpraxis wieder entdeckt. Aktuell spielt die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung eines Verzichtes bestimmter Konsumgewohnheiten eine immer größere Rolle. So gibt es inzwischen Aktionen wie „7 Wochen Autofasten“, die die Fastenzeit zum Anlass nehmen, problematische Konsumgewohnheiten zu hinterfragen und Alternativen aufzuzeigen. 

Im Leiden Jesu Christi zeigt sich Gottes Solidarität mit uns Menschen. Oft sind es bestimmte Leidenssituation, in denen Menschen die Nähe, Liebe und Zuwendung anderer in ganz besonderer Weise erfahren. Solange es Menschen gut geht, scheinen sie gut mich sich selbst klarkommen zu können. Erst im Leiden spüren wir, wie sehr wir auf die Zuwendung und den Trost anderer angewiesen sind. Und es tut gut, zu erfahren, dass das eigene Leid auch von anderen Menschen geteilt wird. So zeigt sich nach christlichem Verständnis gerade im Leiden und Sterben Gottes die Liebe Gottes zu der Welt. 

Von diesem Grundgedanken ausgehend lassen sich die Sonntage der Fasten- und Passionszeit gestalten. Sie laden ein, darüber nachzudenken, wie wir mit dem Leiden, das wir in dieser Welt vorfinden, umgehen können und sollen. 

Dabei macht der Sonntag Invokavit den Auftakt, indem er von der Versuchung erzählt, die – durch Eigennutz, Selbstherrlichkeit oder fehlgeleiteten Ehrgeiz – erst das Leid für andere Menschen in die Welt bringt. 

Es folgt der Sonntag Reminiszere, der einlädt, sich des Leids anderer Menschen nach dem Vorbild Jesu anzunehmen. Dort, wo Menschen gedacht wird, die unverschuldet leiden, lassen sich schwere Lebenssituationen ein klein wenig besser ertragen. 

Der Sonntag Okuli erzählt davon, auch im Leid nie die Hoffnung und Zuversicht zu verlieren, dass auch die Wege im Leid bei Gott einen Sinn finden können und zu einem guten Ende geführt werden. 

Schließlich soll nicht vergessen werden, welche Kraft selbst in Leidenszeiten noch Freude und Trost entfalten können. So schwer auch manches Leid ist. Die Freude und der Dank für das Gute soll auch in diesen Zeiten nicht aus dem Blick geraten. Davon erzählt der Sonntag Lätare, der damit schon ein klein wenig den Blick auf die Osterbotschaft lenkt. 

Es folgt der Sonntag Judika, der an das Unrecht und die angetastete menschliche Würde erinnert, durch die Menschen unverschuldet tiefes Leid zugefügt wird.  

Mit dem Palmsonntag beginnt die Karwoche, die insbesondere in der orthodoxen Kirche zu einer gesteigerten Fastenpraxis führt. Im evangelischen Bereich können hier tägliche Abendandachten den Weg zum Karfreitag begleiten. Das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem erzählt davon, dass ihn auch der triumphale Empfang durch eine Volksmenge nicht davor geschützt hat, den schweren Weg ans Kreuz zu gehen. Am Ende starb er von allen verlassen am Kreuz allein. Auch die größten Erfolge und die höchste Bewunderung verhindern nicht, dass sich Menschen sehr schnell auch wieder abwenden und zurückziehen können. Echte Zuwendung und Freundschaft ist etwas Einzigartiges. 

Mit dem Karfreitag, dem Tod Jesu am Kreuz, und dem Karsamstag, dem Tag der Grabesruhe Jesu im Tod, kommt die Karwoche zu ihrem Höhepunkt und Abschluss. Der Karfreitag ist dabei besonders gesetzlich geschützt und erlegt der Gesellschaft allgemein auf, im Respekt gegenüber der christlichen Tradition und Frömmigkeitspraxis alle Vergnügungen zu unterlassen, die die religiöse Andacht anderer beeinträchtigen könnten. Religiöse Frömmigkeitspraxis ist somit nicht nur ausschließlich privat, sondern darf auch Raum in der Öffentlichkeit beanspruchen. Wer den Karfreitag als Feiertag für sich nutzt, sollte bei seiner Freizeitgestaltung Rücksicht auf die Bedeutung dieses Tages für andere nehmen. Freilich schwindet in einer säkularen Gesellschaft das Verständnis für respektvollen Umgang mit religiösen Traditionen, die anderen heilig sind, und damit auch das Verständnis für das Gut des gesellschaftlichen und religiösen Friedens miteinander. Frieden setzt jedoch immer einen respektvollen Umgang mit dem voraus, was anderen „heilig“ ist. 

Die Fasten- und Passionszeit kann dadurch gestaltet werden, dass ich mir vornehme, für diesen begrenzten Zeitraum bewusst auf Dinge oder Gewohnheiten in meinem Leben zu verzichten. Oder auch umgekehrt, bestimmte Dinge neu und anders zu machen.

In der Kirchengemeinde kann in dieser Zeit ein Taufkurs angeboten werden, an dessen Ende dann ein Taufangebot für die Osternacht oder zum Osterfest steht. 

Mittwochs oder freitags können Abendandachten, Treffen von Fastengruppen oder Glaubenskurse eine besondere Begleitung auf dem Weg durch diese Zeit bieten. 

Im Übrigen ist die Fasten- und Passionszeit eine festlose Zeit, in der früher auch nicht geheiratet wurde, die vielmehr zur Besinnung und Einkehr einlädt. In alten Zeiten wurde das Fasten auch dadurch notwendig, weil die Vorräte des Vorjahres bereits weitgehend verbraucht waren und die Natur ein Nahrungsangebot mit dem Frühjahr erst noch bereitstellen musste. 

© Pfr. Oliver Behre, Zörbig  2021