Letzter Sonntag nach Epiphanias 

Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. (Jes. 60,2b)

Mit dem letzten Sonntag der Epiphaniaszeit strebt die Rede von der aufgehenden Herrlichkeit Gottes in der Welt ihrem Höhepunkt zu. Ist diese Herrlichkeit in den vorangehenden Sonntagen vor allem in existentiellen Bezügen menschlichen Lebens zu fassen, in der Wahrung von Humanität und Menschenwürde, in der das Leben transzendierenden Festfreude sowie in der grenzenlosen Zuwendung der Liebe und Gnade Gottes, so wird die Herrlichkeit Gottes im Evangelium dieses letzten Sonntages in einem ekstatischen Geschehen sichtbar: Jesus wird von den Augen seiner Jünger Johannes und Petrus zu einer himmlischen Gestalt verklärt. Die Jünger erleben mit ihm den „Himmel auf Erden“ (Matthäus 17,1-9).

Ekstatische Erlebnisse sind von Anbeginn an ein Wesensmerkmal von Religionen. Allerdings hat nur ein Teil religiös engagierter Menschen ekstatische Erfahrungen. Diese gelten dann als besonders mystisch begabt oder für göttliche Offenbarungen als „erwählt“. Bereits im Schamanismus zeichnet es den Schamanen aus, dass sein Geist in einem Trancezustand den Körper verlassen kann und sich auf eine Reise in eine spirituelle Welt begibt, um dort Kraft, Hilfe oder für Heilungsvorgänge notwendige Erkenntnisse zu holen. Kennzeichen ekstatischen Erlebens ist es, dass Menschen aus sich heraustreten und mit einer – anscheinend vorhandenen – höheren Wirklichkeit Kontakt aufnehmen. Diese Erfahrung übersteigt die gewöhnliche Alltagswirklichkeit. Sie ist allenfalls für Menschen nachvollziehbar, die ähnliche Erlebnisse gemacht haben und somit als „eingeweiht“ gelten können. 

Besonderes Merkmal der Verklärungsgeschichte Jesu vor Johannes und Petrus ist nun, dass das ekstatische Erleben der Jünger sie auf keinen Weg in eine höhere Wirklichkeit führt, sondern dass vielmehr die Wirklichkeit des Himmels am irdischen Ort, an dem sie sich befinden, erlebbar wird. Ganz ähnlich geschieht das auch in den Visionen der Jünger, in denen ihnen nach Jesu Tod am Kreuz dieser als Auferstandener begegnet. Die Jünger bleiben in ihrem ekstatischen Erleben Teil dieser Welt, sie geraten inmitten ihres Lebens im Hier und Jetzt in Kontakt mit Gottes Wirklichkeit, indem seine himmlische Welt „in Christus“ auf die Erde herabreicht. Ähnliches wird auch von den Hirten im Weihnachtsevangelium berichtet: Die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie. (Lukas 2,8-9). Im Gegensatz zu prophetischen Schilderungen, in denen der Prophet in eine höhere Wirklichkeit bei Gott geführt wird (so auch in der Offenbarung des Johannes), beschreiben viele Visionen, die im Zusammenhang mit Jesus den Jüngern zuteilwerden, eine Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes in dieser Welt. 

In den letzten Jahrzehnten hat die Sehnsucht nach besonderen, ekstatischen Erlebnissen auch in den christlichen Kirchen eine besondere Faszination entwickelt und zu neuen Bewegungen innerhalb und außerhalb der etablierten Kirche geführt. Insbesondere die pfingstkirchlichen und charismatischen Bewegungen betonen ein übernatürliches Wirken des Heiligen Geistes, der auf eine besondere, nicht alltägliche Weise in Ekstaseerfahrungen und rational nicht zugänglichen Phänomenen wirkt und zu mystischen Gotteserfahrungen führt. Besonders verbreitet sind mystische Praktiken auch in Teilen des Islams, im Sufismus. Oft werden jedoch mystische Bewegungen von den eher rational-ausgerichteten, konservativ bis fundamentalistischen Richtungen der jeweiligen Religionsgemeinschaft als eine Gefahr für die Rechtgläubigkeit ausgemacht und zuweilen bekämpft. Versuchen diese angeblich doch, sich Gott auf eine selbstbezogene, elitäre und irreführende Weise zu nähern, was dem Glauben an Gott fremd sei. Die Erfahrung von Fremdheit und Befremdung, die ekstatische Phänomene auf eine Umgebung machen, die davon nicht berührt ist und berührt werden will, führt oft zu einer Abwehrhaltung, wie es der Begegnung mit dem Fremden allgemein innewohnt. Daher mag es kein Zufall sein, dass mystische und für ekstatische Erfahrungen offene Menschen oft von einer größeren Weite, Dialogbereitschaft und Offenheit mit anderen, auch andersgläubigen Menschen geprägt sind als jene, die stark rational geprägt sind. 

In den Texten des Neuen Testamentes wird an verschiedenen Stellen von ekstatischen Phänomenen und mystischem Erleben bei den ersten ChristInnen berichtet, ohne dass solche Erfahrungen in den Mittelpunkt des Glaubens gestellt werden oder eine besondere Bedeutung erlangt hätten. Sie sind eine Möglichkeit der Gottesbegegnung, die aber nur von einem kleinen Teil der Gläubigen in dieser Weise praktiziert und erfahren wird. Für die eigene Gottesnähe oder das Seelenheil haben solche Erfahrungen keine zentrale Bedeutung, außer, dass sie den Glauben und die Beziehung zu Gott stärken und bereichern können. Sie bringen diejenigen, die mit solchen Erfahrungen oder Phänomenen begabt werden, auch nicht in eine besondere Position vor Gott. Insbesondere der Apostel Paulus wendet sich daher gegen Bestrebungen, aus besonderen, übernatürlichen Begabungen eine herausgehobene Bedeutung in der Gemeinde für die eigene Person abzuleiten (vgl. 1. Korinther 12-14). 

Für viele Menschen „beweist sich“ ihr Glaube in besonderen, übernatürlichen Ereignissen und ekstatischen Erfahrungen. Hier wird die Herrlichkeit Gottes oder die Wahrheit ihres Glaubens  unmittelbar erfahren. Orte solcher Erfahrung sind in der Kirchengeschichte oft zu Wallfahrtsstätten geworden. Der Glaube an Wunder und übernatürliche Ereignisse prägt in Teilen bis heute noch die katholische und orthodoxe Glaubenspraxis, ist aber auch – weniger ortsbezogen – im Bereich evangelischer Kirchen anzutreffen. Im Grunde genommen stellt die Erwartung, dass „das Heilige“ auf außeralltägliche Weise in die diesseitige Lebenswirklichkeit hineinwirkt oder hineinwirken kann, ein grundlegendes Wesensmerkmal aller Religionen dar. Sofern Religion als „Umgangsweise mit dem Unverfügbaren“ verstanden werden kann, gehört die Erwartung von Machterweisen oder Sichtbarwerdung des Göttlichen im eigenen Leben oder der diesseitigen Welt (=Epiphanie!) vielfach zur religiösen Praxis.  

Der letzte Sonntag in der Epiphaniaszeit nimmt diese Tradition auf und ordnet sie in die Glaubens- und Lebenswelt des christlichen Glaubens ein. Mystische, ekstatische Erfahrungen können den Glauben stärken und bereichern. Ihnen wohnt jedoch keine zentrale Funktion für die Beziehung zu Gott inne. Es kann sein, dass Menschen aufgrund solcher Ereignisse ein besonderes Ansehen erlangt haben, etwa als „Heilige“, doch dann nicht aufgrund der ihnen zuteil gewordenen übernatürlichen Phänomene, sondern aufgrund ihrer Bedeutung als Zeugen für die Wahrheit Gottes, die sie in Folge dessen in besonderer Weise ausgeübt haben. 

© Oliver Behre, Zörbig  2021